“Teufelskreise, falsche Propheten und Watzlawick”
Jeder kennt diese Situation: man hat als Stürmer immer selbstverständlich die Torchancen genutzt und plötzlich hat man in zwei Spielen nacheinander die einfachsten Gelegenheiten vor Tor versiebt. In das darauffolgende Spiel geht man schon etwas weniger selbstverständlich – und schießt in einer entscheidenden Situation frei – und fünf Meter vor dem Tor – den Ball den Keeper an den Kopf. Die Selbstvorwürfe werden von den wütenden Kommentaren der Mitspieler nicht geringer. Die Misserfolge setzen sich im Kopf fest. Beim nächsten Spiel…
Diese Erfahrung hat nicht nur der kleine Willi von den Pinneberger Mini-Bubis durchgemacht, sondern auch andere berühmte Helden der Fußballhistorie: der „Bomber der Nation“ Gerd Müller, der „Knipser“ Fernando Torres, unser Mario Gomes und sogar der fast arrogant selbstbewusste Zlatan Ibrahimovic.
Die Sportjournaille veröffentlicht dann gehässig Woche für Woche die Stunden, die der Goalgetter seine Aufgabe nicht erfüllt hat. Das macht die Sache nicht einfacher. Nach einem Monat ohne Tore wünscht sich jeder Star, taub oder Analphabet zu sein. Die Sportzeitung, die die Spielerfrau morgens am Tisch freundlich mit dem Frühstück serviert, wird ungelesen in die Tonne gedrückt, die Gattin mit einem Blick konfrontiert, der ihr wohlwollendes Lächeln erstarren lässt.
Ortswechsel: Einschlagen mit dem Trainer vor einen wichtigen Wettkampf im Tennis: Ein Volley wird verschlagen. Der Trainer spielt zur Korrektur den nächsten Ball zu, die Spielerin lässt den Ball regungslos durch und kommentiert verbiestert: „Den Schlag kann ich nicht.“ Der Trainer holt sämtliche Statistiken aus den letzten Trainingseinheiten hervor, die beweisen sollen, dass sie dieses Problem hundertfach erfolgreich bewältigt hat. Zickige Antwort: „Im Wettkampf habe ich diesen verfluchten Schlag permanent versemmelt!“ Der gelassene Coach überredet sie noch einmal einen neuen Versuch zu starten. Sie spielt den Ball an die Netzkante und drischt die zurückrollende Filzkugel mit dem Fuß und der Kraft eines Uli Borowkas gegen den Zaun. Ihr Schläger fliegt den Ball hinterher. Als sie das missbrauchte Werkzeug wieder aufsammelt, faucht sie über das Netz: „Habe ich doch gesagt! Können wir mit dem Mist jetzt aufhören und endlich Schläge üben, die sinnvoll für das anstehende Match sind???“
Der Coach fügt sich ihren Worten, um eine Eskalation zu vermeiden.
Drei Stunden später hat die Spielerin nach eigenem Matchball das Turnierspiel im Tiebreak des entscheidenden Satzes verloren. Ist es noch nötig zu erzählen, dass der nicht verwandelte Punkt zum Sieg ein leichter Volley war?
Der Guru der modernen Psychologie, Paul Watzlawick, hat die Quelle dieser „unforced errors“, dieses wiederholten Versagens, „Self fulllfilling Prophecies“ genannt. Klingt gar nicht schön. Die deutsche Übersetzung „Selbsterfüllende Prophezeiungen“ dreht einem noch mehr den Magen um. Hinter diesem unverdaulichen Wortungetüm verbirgt sich aber eine tiefe Wahrheit. Und eine Lösung, aus diesem Teufelskreis zu entkommen! Also Hoffnung für den Chancentod und die Tenniszicke – für die wütenden Mitspieler und den genervten Coach! Um diesen Schlüssel, der das so fest verschlossene Tor öffnet, zu präsentieren, müssen wir kurz die Argumente von Paul, dem Psychomagier erläutern. Mit einfachen, unwissenschaftlichen Worten. Der Psycho-Paul wird dafür Verständnis haben.
Die Kernaussage Watzlawicks lautet, dass negative Vorstellungen das Handeln stark beeinflussen. Und zum Misserfolg führen. Man traut sich etwas nicht zu und aus Angst vor dem Versagen wird die befürchtete Handlung vermieden. Es werden also keine positiven Lösungsversuche realisiert. In gewissen Situationen wird aber gerade diese Leistung, die man sich nicht zutraut, gefordert. Obwohl man diese Aktion vermieden hat, hat sich das negative Programm im Kopf festgesetzt. Weil man sich dieses Problems ja bewusst ist. Und aus Furcht immer wieder vorgestellt hat, wie man versagen wird. Hier kommt der Körper in das Spiel. Die Vorstellungen vom fehlerhaften Verhalten geben dem Bewegungsprogramm nur ein Muster: die falsche Ausführung. Und da man nicht offen, selbstsicher und spontan reagiert, sondern verkrampft und sich an Handlungsprogrammen orientiert, die den vorgestellten Fehler wiederholen, verschlägt man den leichten Tennisball oder kickt den Fußball aus drei Metern über die Latte.
Der zeitliche Ablauf dieses Fehlverhaltens sieht folgendermaßen aus: Man ist unsicher. Man kommt in das Grübeln. Zweifelt. Zögert. Verliert dadurch entscheidende Zehntelsekunden, die für eine erfolgversprechende Aktion dann fehlen.
Sind diese Zusammenhänge nachzuvollziehen?
Betrachten wir die Problematik ruhig einmal aus einer anderen Perspektive: Ein deutscher Literaturklassiker hat folgenden Ausspruch geprägt: „Zuversicht ist der halbe Weg zum Erfolg:“ Wenn man glaubt oder darauf vertraut, dass man ein Problem lösen wird, geht man relaxt und optimistisch an die Aufgabe und hat sich vorgestellt, mit welchen Handlungen man zum Erfolg kommt. Im Bewegungsprogramm, im Körper, haben sich diese positiven Gedanken eingeprägt. Deshalb reagiert man dann auch mit größerer Erfolgswahrscheinlichkeit bei anspruchsvollen Herausforderungen als der an sich selbst zweifelnde Pessimist.
Jetzt alles klar?
Also, Kicker und „weiße Sportler“: Geht offen und experimentierfreudig und mit Hoffnung auf Erfolg an neue Aufgaben heran! Dann entwickelt ihr Schritt für Schritt bessere Lösungsmöglichkeiten. Und jeder kleine Fehler gibt Auskünfte darüber, was noch zu verbessern ist. Durch die Korrektur, durch die Variationen, werden Fortschritte erzielt. Der Volley wird dann entschlossen getötet, der Torschuss knallt wieder in das Netz.
Für alle, die sich gerade im sportlichen Teufelskreis befinden, ein letzter Tipp, ein hoffnungsvoller Trost, eine positive Selbsterfüllende Prophezeiung, zum Schluss:
Eine Krise ist auch immer eine Chance, aus ihr etwas zu lernen, was man ohne sie nicht hätte lernen können.
Ich prophezeie, dass alle Leser dieses Textes in Zukunft als unbezwingbare Netzpanther im Tennis oder als Torschützenkönige ihres Teams agieren werden.
Wer nicht daran glaubt, ist selber schuld.
Siehe oben.
PS
Die hier diskutierte Problematik ist nicht neu. In den Lehrgeschichten des Zen oder des Sufismus wurde schon vor Jahrhunderten auf dieses Dilemma eingegangen. Diese Geschichten sind nicht so eindimensional wie unser Text: sie rufen viele verschiedene Aspekte auf – und sie sind humorvoll. Ein Beispiel:
„Ein Mann glaubte, dass der letzte Tag der Menschheit auf ein bestimmtes Datum fallen würde und man ihn in angemessener Weise begehen sollte.
Er scharte all jene um sich, die auf ihn hörten. Als der Tag kam, führte er sie auf die Spitze eines Berges. Kaum hatten sie sich alle auf dem Gipfel niedergelassen, löste ihr gemeinsames Gewicht einen Zusammenbruch der schwachen Kruste aus und sie stürzten in die Tiefen eines Vulkans. Es war tatsächlich ihr letzter Tag.“
Wie man unter anderem aus dieser Geschichte entnehmen kann, hat die individuelle Einstellung zu negativen Prophezeiungen auch verheerende Auswirkungen auf die gesellschaftliche Umwelt.
Die Trainer im Sport können davon ein Lied singen…
PS II
Weil wir schon mehrfach nach Literaturhinweisen gefragt worden sind: Der Hamburger Sportpsychologe Professor Horst Tiwald hat sich in seinen Publikationen seit Jahrzehnten mit den psychologischen Fallen im Sport auseinandergesetzt. Er hat sehr früh auch auf-Erklärungsmodelle im Zen-Buddhismus und im Sufismus hingewiesen. Viele Studenten – insbesondere die Autoren dieses Textes – haben es ihm zu verdanken, wenn sich ihr Horizont etwas erweitert hat.
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You can find an English translation of this article below the German text.
“FußballTennis”
Zen für den Fußball- und Tennisfan – die Dortmunder Kampfkunst
April und Mai 2013: Borussia Dortmund setzt sich in Hin- und Rückspiel gegen Real Madrid durch. Einfach gut anzusehen! Auch für alle Tennisfans – und sogar lehrreich. Da fällt ins Auge, wie die Dortmunder Kicker nach Fehlpässen sofort nachsetzen und den Ball zurückerobern. Das ist vorbildlich. Das ist geistesgegenwärtige Handlungsschnelligkeit, da wird sofort wieder psychisches Gleichgewicht herstellt und ununterbrochene Zielorientierung dokumentiert. Das erinnert an die Shaolin-Kampfkunst der zen-buddhistischen Mönche.
Da wird nicht über Fehler nachgedacht und Zeit verloren, sondern blitzschnell korrigiert.
Diese Haltung ist auch im Tennis der Weg zum Erfolg. Im Spitzentennis werden immer wieder sogenannte „unforced errors“ gespielt. Der Profi unterscheidet sich von allen weniger Erfolgreichen darin, dass er diesen Fehler gelassen akzeptiert, die Fehlerquellen analysiert, vielleicht auch seinem Ärger kurz „Luft lässt“ und bei dem nächsten ähnlichen Schlag die falsche Bewegung sofort korrigiert.
Wer seinen Fehlern „nachhängt“, von sich enttäuscht ist und den Kopf hängen lässt, hat nicht den Blick frei für eine Neu-Ausrichtung. Auf Dauer ist das im Tennis – wie im Fußball – der Weg zur Niederlage. Gerade bei jugendlichen Talenten ist diese Unzufriedenheit, der nicht beendete Ärger über einen Punktverlust sehr häufig zu beobachten. Die Tennistrainer sollten ihren Schützlingen empfehlen, die Spielweise der BVB-Profis zu studieren. Das hilft mehr als „viele Worte“.
Dann begreifen die Talente, dass man aus Fehlern nur lernen kann.
Dass Fehler deutlich machen, woran es noch(!) mangelt. Und wer den Mut hat, zu verändern, immer mehr Informationen bekommt, was einen erfolgreichen Schlag ausmacht. Und sich damit auf dem Erfolgsweg befindet.
Es ist menschlich, Fehler zu machen. Wer seine Fehler wiederholt, weil er nicht achtsam ist, macht einen nachhaltigen Fehler!
Zen for the soccer and tennis fan – Dortmund’s martial arts
April and May 2013: Borussia Dortmund defeats Real Madrid in the semi-finals of the Champion-League. Nice to look at. And also a great lesson for all tennis fans. It was easy to see how the Dortmund players would immediately try to win the ball back after a bad pass. This is exemplary. This is a sign of alertness and swiftness of action. The players quickly restore their psychological balance and document their constant focus on the target.This reminds one of the Shaolin martial arts practiced by the Zen Buddhist monks.
Those Borussia players do not lose any time thinking about their mistakes, they try to correct them as fast as possible. Like a spark that incites the fire.
This attitude is also the way to succeed in tennis. Top-level tennis players repeatedly make what are called “unforced errors”. The tennis pro differs from all the less fortunate athletes because he accepts this error, analyzes it immediately and might even let off some steam to avoid making the same error in the next rally. Anyone who broods about his bad shots, or hangs his head in frustration does not have a clear view for an eventual realignment or game improvement. In the long run in the game of tennis – as in soccer – this is the quickest path to certain defeat. Especially young talented players are liable to lose energy in complaining, when they make an unforced error. They lose the necessary balance of mind and body. Their minds are full of bad feelings and unnecessary worries. And so they have no idea of a variation to correct the wrong movement.
The tennis coach should advise his protégés to study how the BVB plays the game. These pictures explain more than a thousand words. Then do young and talented players grasp the age-old saying: You can only learn by your mistakes.
Mistakes clearly reflect what the player lacks! Anyone who has the courage to change himself gets more information about a successful stroke. Then he is on the road of progress.
To err is human, i.e. we all make mistakes. Anyone who repeats the same mistake over and over, because he is not aware, is on the road into the middle of nowhere.
3. Juli 2013 um 10:49 Uhr
Moin moin zusammen,
mich stört die Aussage, dass man aus Fehlern nur lernen kann oder vielleicht auch nur, dass dieser Satz/Absatz zu deutlich im Vordergrund steht. In dem vorherigen und in dem nachfolgenden Absatz ist diese, meiner Meinung nach nicht logische Äußerung, auch schon relativiert. Daher nun einige Gedankengänge hierzu:
aus Fehlern kann ich nicht lernen!! Ich kann aus einem Fehler nur die Notwendigkeit ableiten, etwas zu verändern, um dann der richtigen Lösungsmöglichkeit näher zu kommen oder sie sogar zu erreichen. Ich kann ja nicht wissen, was ich nicht habe(z.B. den technisch perfekten Rückhand-Slice). Für den Schüler ist motorische Intelligenz und die persönliche Offenheit, etwas neues auszuprobieren, Voraussetzung für diese Veränderung/Lernen. Auf Seiten des Lehrers ist hier selbstverständlich Wissen Voraussetzung: a) Wissen im technischen Bereich, b) die Anweisungen sollten m.E. nicht “diktatorisch” auf eine genau definierte Bewegung hinweisen, sondern Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Dies wiederum hilft dem Schüler bei seinen noch folgenden Lernschritten, nicht nur um seinen eigenen sportlichen Weg zu finden, sondern hoffentlich auch später, um sein Leben eigenverantwortlich zu durchlaufen.
Immer viel Spaß beim Lesen wünscht Volker
3. Juli 2013 um 19:15 Uhr
Hallo Volker,
Hauptziel dieses Beitrages war es, deutlich zu machen, dass Fehler keinen Anlass zu Selbstzweifel geben. Fehler machen Unterschiede zu idealen Bewegungsabläufen deutlich – wenn man die Ursachen erkennt. Diese Unterschiede geben dem Spieler erst brauchbare Hinweise für positive Veränderungen.
Du schreibst, dass aus Fehlern nur die Notwendigkeit abgeleitet werden kann, etwas zu verändern. “Ich kann ja nicht wissen, was ich nicht habe!”. Doch! Der Fehler wird vom Spieler als Fehler registriert, weil er bessere Lösungsmöglichkeiten schon kennt! Er hat schon viele bessere Schläge gesehen, er hat auch selbst viele Schläge gespielt, die erfolgreicher waren. Bei einem Fehler gibt es zwei Alternativen in der Einstellung:
1. Man ist deprimiert aufgrund seiner schlechten Schlagausführung und traut sich künfig noch weniger zu.
2. Der Spieler erkennt beim Fehler die Ursachen (z.B. Ball zu tief fallen gelassen, gezögert, falsche Stellung zum Ball etc) und Unterschiede zu eigenen erfolgreichen Lösungen und mit positiven Korrekturen geht er ausgeglichen und frohgemut in den nächsten Ballwechsel.
Wir wollen an diesem Ort nicht weiter unseren Standpunkt verteidigen. Im nächsten Beitrag zu “Pitch and Court” werden wir die Problematik noch vertiefen.
Vielen Dank für deine Anregungen!
27. Juni 2013 um 14:44 Uhr
Guter Hinweis auf eine Parallele. Vielleicht wünschenswert: Zusatzinfo zu “ZEN” / Shaolin (Grundlagen, Prinzipien, Philosophie). Ggf. Hinweis auf geeignete Veröffentlichung(en). Ciao wh
2. Juli 2013 um 12:36 Uhr
Hallo wh,
vielen Dank für den Hinweis.
Als leicht verständliche Einführung und Schlüsselwerk:
Eugen Herrigel, „Zen in der Kunst des Bogenschießens/Der Zen Weg“, Fischer Taschenbuch 2004
sowie:
Bernhard Moestl, „Shaolin – Du musst nicht kämpfen, um zu siegen“, Knaur TB 2010
Viel Spaß beim Lesen!