Weltmeister, Päpste und Wimbledonsieger

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Ist Deutschland nach dem Wahnsinns-WM-Halbfinale gegen Brasilien schon aus dem Traum erwacht? Wir sollten die unvergesslichen Momente dieses Fußballspieles nicht vergessen, aber – Zitat Thomas Müller – „auf dem Boden bleiben“. Erinnern wir uns noch an die Kritik nach dem Algerien-Spiel, weil „wir“  nur(?) in der Verlängerung gewonnen hatten? Per Mertesacker hat mit seiner spontanen Reaktion unseres Erachtens die sportliche Wirklichkeit, aber auch die besserwisserisch-undifferenzierte Medienberichterstattung, sehr deutlich charakterisiert: Da freut man sich nach einem harten und erfolgreichen Kampf, das Ziel gemeinsam erreicht zu haben und muss sich kurz danach – ohne jegliche Einfühlung in die Psyche eines Leistungssportlers – gefallen lassen, dass der Sieg zu einem Versagen heruntergespielt wird.

Wir greifen diese Thematik auf, weil es im deutschen Tennis Parallelen in der öffentlichen Darstellung gibt. Novak Djokovic ist vor Tagen Wimbledonsieger geworden – betreut von unserer Tennislegende Boris Becker. Der Sieg des Serben – in einem phantastischen Finale gegen Roger Federer – ist von der deutschen Presse nur mit relativ wenigen Zeilen gewürdigt worden. Ausführlich wurde hingegen die Person Becker in den Vordergrund der Berichterstattung gerückt.  Als Ratzinger zum Papst gewählt wurde, war das gesamte deutsche Volk nach Bild-Schlagzeile am nächsten Tagen Papst, wenn die Nationalelf in Rio de Janeiro wieder gewinnen wird, sind wir alle Weltmeister und wenn Djokovic Wimbledon gewinnt, sind wir alle – und jetzt gehört auch Boris wieder dazu – Wimbledonsieger!

BILD, BU, 20.04.2005, Seite 1

Ist vergessen worden, mit welcher Häme die Medien über den neuen Trainerjob des „Leimeners“ von Anfang an berichtet hatten? Der „Comebecker“ ist da nicht so vergesslich. In einem kürzlich veröffentlichten Interview nimmt er zu diesem Thema Stellung:

„In Deutschland sehen mich die Menschen schon immer mit anderen Augen als im Rest der Welt. Das ist seit meinem ersten Wimbledonsieg so gewesen, und das ist auch so geblieben. Ich habe immer damit gelebt und mich davon auch nicht beirren lassen.“ Er führt weiter aus: „ Natürlich hatte ich mir den Start anders vorgestellt. Aber es war eben nur die erste Etappe eines längeren Weges. Manche haben da schon eine Rechnung für Becker und Djokovic ausgestellt, obwohl die Saison erst im November endet. Jetzt hat Novak Großes erreicht, das wichtigste Turnier des Jahres gewonnen, Platz eins zurückerobert – das müsste den Blick nun eigentlich auch mal verändern auf unsere Arbeit. Auf eine gemeinsame Arbeit, die noch mehr bringen wird, da bin ich sicher. Wir haben noch viel vor.“

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Der ehemalige Wimbledonsieger weiß, wovon er spricht. Als Jugendlicher war es aus dem deutschen Förderungskader geworfen worden, weil seine Fitness für die Zukunft nicht ausreichend genug  ausgebildet sei. Drei Jahre später stand der 17-jährige im Finale von Wimbledon. Die gleichen Leute vom DTB, die dafür gesorgt hatten, dass er nicht mehr gefördert wurde, hatten sich Plätze auf der Tribüne neben Vater und Mutter Becker besorgt. Als die TV-Kameras nach dem verwandelten Matchball zu den Eltern von Boris schwenkten, sprangen die Herren von ihren Sitzen auf und umarmten die beiden Ahnungslosen mit deutlich zur Schau gestellter Begeisterung und Freude. Die Gesichter waren nicht den Eltern zugewandt, sondern strahlten in die Kameras…

Auf diese Episode und „auf seine Gefühle anlässlich dieses Erlebnisses“  angesprochen, erwiderte Boris: „ Im ersten Moment wollte ich…“, er zögerte kurz, dann äußerte er nach kurzem Nachdenken: „Ach weißt du, das sind Trittbrettfahrer, denen begegnet man immer, wenn man Erfolg hat. Es lohnt nicht, sich über solche „Vertreter“ aufzuregen. Sie sind es einfach nicht wert.“

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Wir haben dieses Thema aufgegriffen, weil etwas mehr Ausgewogenheit, Zurückhaltung und Differenziertheit in der Berichterstattung  der jeweiligen Sportart dienen würde.

Noch wichtiger: weil Neid die Beurteilungen nicht beeinflussen sollte. In diesem Zusammenhäng fällt uns die Aussage eines Literaten von Weltruf ein, als sein – später hochgerühmtes – Werk gleich nach Erscheinen von einem Literaturkritiker zerrissen wurde: „Diese Berufskritiker sind doch nur Eunuchen!“…

Im Zusammenhang mit der Mertesacker-Affäre, sei zum Schluss des Textes noch eine deutsche Bauernweisheit zitiert:

„Was kratzt es die Eiche, wenn sich eine Wildsau an ihr reibt.“

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