Im letzten Post sind wir den Ansprüchen einiger auserlesener User gefolgt und haben einen kritischen Text in das Netz gestellt. Da das nächste Großereignis im Tennis, die German Open, erst in der nächsten Woche stattfindet, nutzen wir die Gelegenheit und veröffentlichen mit dem vorliegenden Text noch einmal problematisierende Gedanken.
Als gegebenen Anlass nehmen wir die Fußball- WM in Brasilien, die ganz Deutschland in Atem hält. Einige Beobachtungen zu dem Geschehen um unsere Nationalelf bieten Parallelen zu der aktuellen Situation im deutschen Tennis-Spitzensport.
Vor dem „surrealen“ Triumph über Brasilien standen der Trainer, der Manager und einige Stars (z.B. Özil) immer wieder – besonders nach knappen Siegen oder gar Unentschieden gegen vermeintlich schwache Gegner – in der Kritik. Hauptargument vor der WM: die spielen zwar ganz schön, die gewinnen aber keine Turniere. Spielen assoziieren diese ewigen Nörgler mit „verspielen“ – von Chancen, von Titeln. Nicht das Erlebnis zählt, sondern ganz allein das Ergebnis. Als die deutsche Nationalelf gegen Schweden in der WM-Qualifikation in der ersten Halbzeit Fußball mit herausragenden technischen, spielerischen und kreativen Momenten präsentierte und in der zweiten Halbzeit den Vorsprung einbüßte, wurde gleich der „Teufel an die Wand gemalt“ und der mangelnde Siegeswillen, die nicht vorhandene Killermentalität, das Fehlen von Spielerpersönlichkeiten, die die Führung an sich reißen, beklagt. Außer Acht gelassen wurde die hervorragende kämpferische und resiliente Einstellung der Schweden oder ihre Geistesgegenwart, das Erkennen und entschlossene Zupacken bei einer Chance. Übrigens haben die Spieler und das Trainerteam aus dem 4:4 gegen Schweden gelernt. Hohe Führungen sind seitdem nicht mehr „verspielt“ worden! Vielleicht war dieses Spiel sogar entscheidend für diesen Fortschritt.
Unabhängig vom Ergebnis war dieses Match ein Erlebnis, wo das Zuschauen einfach Spaß gemacht hatte – wenn man die Perspektive nicht auf die „eigene Mannschaft“ verengt hatte.
Manchmal könnte ein „Blick über die eigene Nasenspitze hinaus“ dazu führen, dass man die Gesamtsituation besser erkennt, verschiedene wichtige Aspekte berücksichtigt und deshalb zu einer informationsreicheren und objektiveren Erkenntnis gelangt.
Ghana hat gegen uns sehr gut gespielt, die USA hat bravourös gekämpft und die Algerier sind über sich gegen Deutschland hinausgewachsen. Sind diese Leistungen von der Öffentlichkeit respektiert, geschweige denn gewürdigt worden? Eine Aussage von Bundestrainer Löw könnte diesen Gedanken vertiefen: Er wies darauf hin, wie hauchdünn die Grenze zwischen Erfolg und Misserfolg in einem Weltmeisterschafts-Turnier ist. Dann führt er weiter aus: “Nach dem Spiel gegen Portugal sind wir schon Weltmeister, wir müssen die Emotionen herunterdrosseln, dann kommt Ghana, es läuft nicht so gut, schließlich rechnen alle damit, dass wir ausscheiden könnten. Panik, Untergangsstimmung sind das Resultat.“
Etwas mehr Distanz, etwas mehr Gelassenheit und ein respektvoller Blick auf andere Nationen würden der öffentlichen Wahrnehmung gut tun – und dazu beitragen, dass am Sonntag die Nationalelf Weltmeister wird, weil sie nicht so unter öffentlichen Druck spielt, wie der Gastgeber Brasilien. Dann sind nicht wir Weltmeister, aber wir alle haben zumindest einen kleinen Beitrag zur Weltmeisterschaft geleistet.
Ein kurzer, vergleichender Blick auf das Tennis in Deutschland sei gestattet: Wir haben mit Dustin Brown aktuell einen Tennisprofi, der mit seinen Auftritten begeistern kann, der das Publikum in seinen Bann zieht. Es wäre ein Fehler, jetzt schon seinen Aufstieg in die Top Ten zu erwarten. Er braucht noch Zeit, um seine Fähigkeiten zu stabilisieren. Er hat ein enormes Potential, aber er hat eine internationale Konkurrenz, die in naher Zukunft alles tun wird, ihm diesen Weg zu erschweren. Also: kein Grund zur Panik, wenn er in Zukunft auch ein Mal ein Spiel nach eigenen Matchbällen verliert.
Die Medien, die Fachleute und die Fans sollten eine Tugend einüben, die in Deutschland nicht mehr gepflegt wird: Geduld! Als Beispiel können wir wieder auf den Nationalsport Nr.1 zurückgreifen: Deutschland wurde 1954 zum ersten Mal Weltmeister und die internationale Öffentlichkeit sprach von Härte, von deutscher Kraft, Disziplin und Effizienz. Dieser Eigenschaften brauchen wir uns nicht zu schämen, aber in der Zwischenzeit hat sich das Bild von dem deutschen Fußball in der Welt gewandelt. Er gilt nicht nur als erfolgreich und effizient, sondern auch als ansehnlich. Die deutschen Fußballer „werden in der Welt nicht mehr gefürchtet und belächelt, sie werden gefürchtet und bewundert:“( Zitat „Spiegel“ Nr.28,2014). Sie gelten als flink und kreativ.
In dieser Situation, in der unser Fußball weltweit große Anerkennung findet, suchen unsere Meinungsmacher, speziell die Boulevard-Presse, nur nach dem „Haar in der Suppe.“ Nach knappen Siegen, die als Kantersiege erwartet wurden, wird in „Bausch und Bogen“ unsachlich verteufelt. Da fehlt plötzlich Härte und Disziplin, der Mangel an „Führern“, an Führungsspielern wird beklagt. Hinter diesen Kommentaren steckt ein System: da lobt man Menschen oder Menschengruppen unangemessen an die Spitze, um sie dann aus höchster Höhe fallen zu lassen. Das ist menschenverachtend. Da gilt nur die Formel „only bad news are good news“, die angeblich für die gute Quote sorgt. Wenn dieser Gedankengang stimmt, sind die Leser dieser Presseorgane ausschließlich geprägt von Neid und Schadenfreude. Charaktereigenschaften, die vor langer, langer Zeit als Todsünden galten.
Im Tennis sind diese unrühmlichen Hetz-Kampagnen gegenwärtig nicht zu beklagen. Das hat zwei Gründe: Wir haben bei den Herren nicht die Protagonisten, die man realistisch „an die Spitze schreiben“ kann und die deutschen Herren sorgen durch Skandale zu oft selbst dafür, dass man mit (Schaden-)Freude negativ über sie berichten kann.
Zum Schluss eine Einordnung unserer Argumentation: Es gibt eine kluge Aussage über Sport und Journalismus, die wir hier leicht variiert zitieren: „Tennis ist die Zeit, in der der Ball spricht. Alles davor und danach ist Geschwätz.“ Auf den gleichen Sachverhalt zielt die berühmte „philosophische“ Sentenz „Fußball ist auf dem Platz“, ab.
Wir stimmen diesen klaren Erkenntnissen zu. Und wissen, dass sie auch für uns selbst in aller Konsequenz gelten…