In Biberach werden die deutschen Meisterschaften gespielt und die größte deutsche Hoffnung, der 17-Jährige Sascha Zverev, bereitet sich im Sunshine State Florida bei warmen Temperaturen auf das Tennisjahr 2015 vor. Konditionstraining mit Jez Green, dem ehemaligen Fitnesscoach von Andy Murray, ist hier der Schwerpunkt. Technische und taktische Entwicklungen werden durch das Training mit seinem älterem Bruder Mischa nicht außer Acht gelassen.
Die auflagenstarke Tageszeitung „Die Welt“ hat die Zverevs in ihrem Heim in Wesley Chapel, nördlich von Tampa, besucht und ein Interview mit dem jüngsten Tennisspross der Familie gemacht, das einige Einblicke in die Welt der Jungstars im Tennisprofizirkus erlaubt.
Im der vergangenen Saison hatte der Auftritt von Sascha bei den „German Open“ für Aufsehen gesorgt. Für den „Schlaks“ aus Hamburg ist dieses Ereignis die bedeutungsvollste Erinnerung an das Jahr 2014:
„Hamburg war schon das Highlight. Das ist schließlich mein Heimturnier, und dort ins Halbfinale zu kommen, das war immer mein Traum. Dass ich ihn realisiert habe, konnte ich zunächst wirklich gar nicht fassen. Das hat mir unheimlich viel bedeutet. Dennoch vergesse ich auch nicht, wo alles begonnen hat, nämlich Anfang Juli beim Challengerturnier in Braunschweig. Das war der Beginn der verrücktesten drei Wochen meiner bisherigen Karriere.“
Bei dem Blick zurück vergisst er auch nicht, welches Lehrgeld er beim Wechsel auf die Profitour bezahlen musste und dass sein Turniersieg beim Challenger in Braunschweig, wenige Tage vor dem Turnier am Rothenbaum, das Ereignis war, dass bei ihm den „Knoten zum Platzen“ brachte:
„Ich denke, dass Braunschweig der Moment war, in dem ich spürte, dass ich mithalten kann bei den Profis. Sehen Sie, ich hatte im Januar die Australian Open der Junioren gewonnen und bin dann auf die ATP-Tour gewechselt. Plötzlich musste ich, der es gewohnt war, fast immer zu gewinnen und meist bis zum Ende im Turnier zu sein, in der Qualifikation antreten. Ich habe viele Erstrundenmatches verloren, mir fehlten Spielpraxis und Selbstvertrauen. In Braunschweig habe ich mir beides geholt, und das war für mich der Wendepunkt.“
Der junge Hamburger schildert hier eine Erfahrung, die tausende junger Talente, die den Sprung in das Profitennis wagten, genauso erlebt hatten: Die ungewohnten Umstände, die härtere Konkurrenz, das Gefühl noch nicht dazu zu gehören, nähren Zweifel an der eigenen Person. Das vorher selbstverständliche Vertrauen in die eigene Stärke geht Schritt für Schritt verloren. Da heißt es, dranzubleiben, nicht zu verzweifeln, nicht aufzugeben. Wie bei Sascha genügen dann oft glückliche Umstände und eine Siegesserie, um neues Selbstvertrauen zu gewinnen. Hier und jetzt muss „die Chance beim Schopf gefasst werden“.
Das ist Sascha erst in Braunschweig, dann in Hamburg gelungen. Er vergisst aber nicht, dass ein optimales Umfeld diese Erfolge erst ermöglicht:
„Ich muss aber auch betonen, dass ich Michael Stich viel verdanke. Er hat mir als Turnierdirektor in Braunschweig und Hamburg Wildcards fürs Hauptfeld ermöglicht. Es ist für einen jungen Spieler wie mich unbezahlbar, wenn einem ein solcher Mensch wie Michael den Rücken stärkt. Ich bin ihm sehr dankbar für diese Hilfe und hätte mich gefreut, wenn er Präsident des DTB geworden wäre.“
Ein lakonischer Seitenhieb im letzten Satz – der junge Mann ist auch außerhalb des Platzes selbstbewusst geworden. Dann schildert er die Problematik, die der Weltranglistenerste Djokovic so treffend beschrieben hat: „Es ist so hart, sich Selbstvertrauen zu erarbeiten – und es ist so leicht, es zu verlieren…“:
„Dennoch war es hart, nach dem Rothenbaum-Erfolg wieder in den Rhythmus zu finden. Das hat sicherlich rund sechs Wochen gedauert. Es ist nicht einfach, wenn man nach einer Halbfinalteilnahme bei einem 500er-Turnier plötzlich bei einem 250er wieder Quali spielen muss und dort in der ersten Runde verliert, und dann sieht man im Hauptfeld Leute spielen, die man schon geschlagen hat. Daran musste ich mich erst gewöhnen. Aber mein Trost ist, dass es auch den größten Stars manchmal so geht. Ein Rafael Nadal gewinnt die French Open und fliegt dann in Halle in Runde eins gegen Dustin Brown raus. So etwas passiert. Ich muss das alles erst lernen. Niemand sollte vergessen, dass ich erst 17 bin.“
Auf die Frage, was sein neu gewonnenes Leistungsvermögen charakterisiert, antwortet die große deutsche Tennishoffnung spontan: „Dass ich mir zutraue, auch in Matches gegen besser platzierte Spieler mein Spiel zu spielen. Anfang des Jahres habe ich mal in München ein Match gegen Jürgen Melzer klar verloren. Danach ist mir schlagartig klar geworden, dass ich nicht daran geglaubt hatte, ihn wirklich schlagen zu können. Den Glauben, dass ich es grundsätzlich kann, habe ich seit dem Turniersieg in Braunschweig.“
In den letzten Sätzen des Interviews spricht Mischa noch andere Aspekte, wie Demut, Disziplin und Akzeptanz immer neuer Herausforderungen, an. Nur dieses Ensemble an Einstellungen führt dazu, außergewöhnliche Ziele im Spitzensport zu erreichen:
„Es gibt nichts, was ich nicht verbessern könnte. Aber das Wichtigste ist sicherlich, dass ich mich körperlich in den Zustand bringe, über Wochen physisch und mental an meine Grenzen gehen zu können. Daran arbeite ich hier in Florida ganz besonders. Dass ich spielerisch mithalten kann, weiß ich. Aber wenn der Körper nicht Schritt halten kann, nutzt das nichts.“
Wenn der Junge sein Wort hält, werden wir 2015 viel Freude an ihm haben.