Mit Verwunderung wird in der Tennisszene zur Kenntnis genommen, dass die Weltspitze im Profitennis immer älter wird. Überflieger und Wunderkinder, wie ehemals Borg, Chang oder Becker, die schon mit siebzehn Jahren Grand Slam Turniere gewannen, haben in der modernen Konkurrenz kaum noch Chancen. Einzige Ausnahme: Rafael Nadal. Fachleute prophezeien, dass in der Zukunft das Durchschnittsalter auf der Tour noch höher sein wird und dass kaum noch Chancen für akzelerierte Supertalente bestehen, in jungen Jahren den Durchbruch in die Top Ten der Weltrangliste zu schaffen.
Die Gründe für diese Entwicklung werden schnell genannt: Erhöhte Trainingsumfänge, verfeinerte Trainingsmethoden, bessere medizinische Betreuung, optimierte Ernährung und die Erfahrung, die die routinierten Profis den wilden Himmelsstürmern voraus haben.
Ein anderer Faktor, der dazu beiträgt, dass Spieler und Spielerinnen im modernen Tennis erst später zur vollen Reifung ihres Talents kommen – und der in der Diskussion der Insider noch keine nennenswerte Berücksichtigung gefunden hat – ist unseres Erachtens die Globalisierung.
In früheren Zeiten dominierten die sogenannten Tennisnationen USA, Australien, Schweden, Deutschland, Frankreich, Spanien und immer schon bestimmte Nationen aus Südamerika. Kein Schwede befindet sich aktuell unter den besten 400 der Herrenweltrangliste, kein Australier ist unter den Top 50 der ATP-Weltrangliste und bei den US Open 2013 waren alle Amerikaner vor dem Achtelfinale schon ausgeschieden.
Spieler aus sieben Nationen verteilen sich auf die Top-Ten des ATP-Rankings. Unter den Top 27 sind Profis aus Kanada, Lettland, Bulgarien, Serbien, Südafrika, Japan, Polen, Österreich. Bis zu den Top 50 kommen Spieler aus der Ukraine, Finnland, Usbekistan, China und Zypern dazu. Die Australier, die früher einen Wimbledonsieg nach dem anderen errangen, haben ihre besten Akteure auf den Plätzen 55, 56 und 59 unter ferner liefen aufgeführt. Nur einzelne Spieler unter den besten 50 der Welt stammen aus den Traditionsländern Tschechien, Russland, Deutschland, USA und Spanien. Drei Nationen stellen jeweils 2 Top-Ten-Spieler: Spanien und Frankreich als bekannte Tennisnationen – und die kleine Eidgenossenschaft Schweiz, die früher international erfolgreich nur in den Wintersportarten war. Ein kompletter Strukturwandel hat in den letzten Jahren im internationalen Tennis stattgefunden.
Wo liegen die die Gründe für diese Veränderung?
Zuerst einmal ist Tennis weltweit nicht mehr die Elitesportart, die von den höheren Schichten ausgeübt wurde. Tennis ist seit Jahrzehnten auf allen Kontinenten für fast alle Menschen offen. Über die TV-Medien und das Internet ist der weiße Sport auch in die Wohnzimmer in Kuala Lumpur und Nairobi gedrungen und hat viele Jugendliche motiviert, zum Schläger zu greifen und ihren Vorbildern wie Blake, Williams oder Srichaphan und Date nachzueifern.
Die ITF, der internationale Tennis-Dachverband, hat vorbildlich gearbeitet und mit vielen Aktionen Tennis in die entferntesten Ecken unserer Welt getragen. Viele ehemalige Tennisstars haben sich in die Herkunftsländer ihrer Familien begeben und Kinder für den Tennissport begeistert und ihre Bewunderer zur Nachahmung motiviert.
Bei aller Kritik, die gerade wir gern an Institutionen äußern: Die internationale Tennis-Community hat Vorbildliches getan, um den Sport weltweit in Bewegung zu bringen. Ein Beispiel für diesen Siegeszug des Tennis auf unserer Erdkugel:
Nur im Monat September 2013 haben weit über 100 „Future-Turniere“ auf der Welt stattgefunden, die den herausragenden Talenten die Möglichkeit gaben, Weltranglistenpunkte zu gewinnen!
In diesem kurzen Zeitraum haben sich in Armenien, Bolivien, Ägypten, Georgien und Kuwait junge Spitzenspieler mit der internationalen Konkurrenz gemessen. Über das gesamte Jahr hinweg finden diese Turniere in Ländern statt, deren Bevölkerung vor 25 Jahren noch nicht wusste, was das Wort „Tennis“ bedeutet. Deren Einwohner, wenn sie einmal zufällig mit dem Spielgerät, dem Racket, in Berührung kamen, sich über den Besitzer lustig machten, weil er mit einem derart unbrauchbaren Werkzeug vermeintlich zum Fischen gehen wollte.
Überall auf der Welt haben sich jetzt Jugendliche aufgemacht, um mit ihren Tenniskünsten so viel Geld zu verdienen, dass sie sich und ihrer Familie unter günstigen Umständen eine Existenz sichern können. Ihre Aussichten werden auch dadurch verbessert, dass sie in den professionellen Tennisakademien in Europa und in Amerika, die von erfahrenen Coaches geleitet werden, Aufnahme finden und von Fachleuten noch optimaler ausgebildet werden.
Die Quantität der Konkurrenten um den „Platz an der Sonne des internationalen Tennis-Circuits“ ist in den letzten Jahren explodiert! Haben sich vor Jahrzehnten weniger als 1000 mutige Tenniskönner auf den Weg gemacht, um in die Weltspitze vorzustoßen, sind es heute mehr als 6000 Spieler – aus allen Herren Länder!
Es braucht seine Zeit, um sich gegen diese Konkurrenz durchzusetzen. Auch weil das Weltranglistensystem hierarchisch organisiert ist und man nur in die Tableaus der höher dotierten Weltranglistenturniere kommt, wenn man genügend Punkte gewonnen hat. Einige Stars, die heute zur Spitze zählen, haben teilweise mehr als 2 Jahre gebraucht, um die Qualifikationen zu überstehen und den ersten Weltranglistenpunkt zu ergattern. Von Stufe zu Stufe, vom „Future-“, über das „Challenger-“, bis hin zum „Grandslam“- Turnier wartet eine neue Konkurrenz, die jeweils über noch stärkere Qualität verfügt. Ein mühsamer und langwieriger Weg.
Die Zeiten haben sich geändert. Das sollten die in der Vergangenheit erfolgsverwöhnten Deutschen endlich zur Kenntnis nehmen und unseren Spitzenspielern, die sich aktuell in die Weltspitze gespielt haben, die verdiente Anerkennung zollen…
Nach diesen Zahlen und Informationen finden wir vielleicht auch mehr Verständnis für unsere Bewunderung für alle jungen deutschen Talente, die immer noch den Mut aufbringen, ihre Leistungen mit der internationalen Konkurrenz zu messen und nicht ihren Traum bei Rückschlägen aus den Augen verlieren.