3. Teil: Einblicke in die aktuelle Herren-Weltklasse
Auf dem deutschen Tennismarkt kämpft die Firma YONEX seit Jahrzehnten gegen das Vorurteil an, dass ihre Schläger nur ideal für Frauentennis sind. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass auffällig viele Spielerinnen in der internationalen Damenkonkurrenz mit den Produkten des fernöstlichen Schlägerherstellers zahlreiche „Grand-Slam-Siege“ errungen haben. Man vergisst dabei – gerade in Deutschland – scheinbar gern, dass mit Hewitt und Krajicek auch Herren, die Wimbledon gewannen, bei YONEX unter Vertrag standen. Bei den US-Open hat vor wenigen Wochen der Schweizer YONEX-Spieler Wawrinka sich mit hervorragendem Tennis in den Blickpunkt der Tennisöffentlichkeit gesetzt und im Halbfinale Djokovic an den Rand einer Niederlage gebracht.
Bevor er näher auf diesen Aufsteiger in der Herren-Weltklasse eingeht, unterscheidet unser japanischer Gesprächspartner das Weltklassetennis der ATP-Herren von den WTA- Damen: „Die Spitzenprofis sind zu jedem Opfer bereit. Mit eiserner Disziplin arbeiten sie Tag für Tag, Training für Training, Match für Match daran, alles aus sich herauszuholen. Der Entwicklung ihres Leistungspotentials wird alles untergeordnet. Auch von Rückschlägen lassen sie sich nicht aufhalten. Da reagieren die grundsätzlich emotionaleren Damen anders. Die lassen sich schon einmal hängen, wenn etwas daneben läuft. Sie brauchen dann viel mehr sensible und nachhaltige Hilfe von außen.“
Um diesen Unterschied in der professionellen Einstellung bei den ATP- und WTA-Stars hervorzuheben, schildert er die schwierigen Voraussetzungen für das Auftrumpfen von Stanislas Wawrinka bei den US Open:
„Schon länger wurde in Insiderkreisen darüber gesprochen, dass es im privaten Umfeld von Wawrinka große Probleme gab. Ja, die gab es wirklich. Er hatte darunter gelitten. Um mit dieser Situation klar zu kommen, hatte er sich entschieden, sich erst einmal auf sein Tennis zu konzentrieren. Mit seinem Trainer Magnus Norman hat er in der problematischen Zeit die Trainingsintensität noch weiter gesteigert.“
Konzentriertes Tennistraining als Mittel, die eigene Ausgeglichenheit wiederzufinden. Damit verbunden aber eine ethische Einstellung zum Beruf. Nach dem Motto: Wenn alles um mich herum zusammenzubrechen droht, muss ich dafür sorgen, dass existentielle Grundpfeiler unseres Lebens nicht auch noch in Mitleidenschaft geraten. Diese unglaubliche Disziplin und diese vorbildliche Verantwortlichkeit hat sich gelohnt: Er spielte in New York aufsehenerregendes Tennis und privat scheint die Welt auch wieder in Ordnung zu sein.
Wawrinkas Verhalten ist über den tennisspezifischen Rahmen hinaus ein vorbildliches Beispiel für eine Eigenschaft, die in der modernen Soziologie und Pädagogik eine besondere Rolle spielt: die Resilienz. Unter Resilienz versteht man in der Wissenschaft die Widerstandskraft eines Systems gegenüber Störungen. Es wurde beobachtet, dass Kinder aus Ghettos oder Favellas, trotz der widrigsten Umstände es schafften, außerordentlich erfolgreiche Karrieren zu starten. Andere scheiterten (und es war die Mehrheit!) – sie hatten keine ausreichende Widerstandskraft.
Im Leistungssport Tennis ist diese Resilienz nach unserer Auffassung eine wichtige Voraussetzung zum nachhaltigen Erfolg: Immer wieder muss der einzelne Spieler enormen Druck widerstehen, immer wieder muss er sich neuen Herausforderungen stellen, die seine Kräfte übersteigen könnten. Immer wieder muss er sein System neu justieren, um seine hohe Leistungsfähigkeit noch weiter zu entwickeln. Immer wieder muss er sich neu motivieren.
Die Finalspiele von Djokovic und Nadal in Melbourne 2012 und in New York 2013 wären für alle Soziologen, Psychologen und Pädagogen idealer Anschauungsunterricht „in Sachen“ Resilienz!
Ein weiteres Beispiel für diese aufopferungsvolle Disziplin der Spitzenprofis hat Taka sofort bereit: „Bei den Herren gibt es einen graduellen Unterschied von Nadal, Murray, Djokovic – und immer noch Federer – zu den anderen Topprofis. Sie sind eine Liga für sich. Das wird auch deutlich an ihrem alltäglichen Verhalten auf der Tour. Während der Turniere halten sich fast alle Profis für längere Zeit in der Players-Lounge auf. Sie essen und trinken dort, spielen auf ihren Computern, unterhalten sich mit ihren Kollegen. Ganz anders die oben genannten vier Stars mit Sonderstatus. Die bereiten sich in Ruhe mit ihrem Team – abgeschieden von dem generellen Trubel auf einem Tennisturnier – an einem separaten Ort in Ruhe vor, spielen das Match, gehen zur Pressekonferenz und von dort unmittelbar in ihr Spielerhotel und zu ihrem gewohnten Turnierkreis zurück. Gerade bei Grand-Slam-Turnieren lassen die sich kaum einmal in dem Clubhaus sehen. Da wird keine Energie vergeudet. Da wird jede Ablenkung vermieden.“
Die gewohnte Umgebung ist für alle Topspieler, die es sich leisten können, von großer Bedeutung. Sie sind die „Heimat in der Fremde“. Dazu gehören die Spielerfrauen, die verschiedenen Trainer, manchmal Geschwister und Eltern – und sogar Freunde, die die Tennisstars von Kindheit an kennen.
Taka verrät uns ein bisher gut gehütetes Geheimnis: „Die Turnierveranstalter zahlen den absoluten Topspielern hohe Extrasummen für diese Freunde. Bei den Verhandlungen über das Antrittsgeld ist das längst ein fester Bestandteil“.
Der weltoffene Japaner hatte uns während des Gesprächs noch weitere interessante Einblicke in das moderne Tennis auf Weltklasseniveau gegeben. Wir werden sie in Zukunft in unsere weiteren Posts einfließen lassen.
Uns hat das ausführliche Gespräch, in der die Zeit „wie im Nu“ verstrich, viel Spaß gemacht. Euch hoffentlich auch!