Die zweite Woche beim Grand Slam Turnier in Melbourne ohne deutsche Beteiligung – eine Gelegenheit, das Augenmerk intensiver auf die Leistungen der absoluten Weltspitze zu richten:
Auffällig ist der strukturelle Unterschied zwischen der Damen- und der Herren- Weltklasse. Bei den Damen haben mehr als 10 Spielerinnen das Potential, bei günstigen Umständen in das Finale eines derartigen Mega-Events vorzudringen. Wenn jetzt, wie am gestrigen Tag, die doch dominierende Serena Williams schon im Achtelfinale stolpert und ausscheidet, ist es vollkommen ungewiss, wer am kommenden Wochenende das Turnier gewinnen wird. Die größten Aussichten auf den Titelgewinn – spätestens nach dem Ausscheiden Sharapovas gegen die in Melbourne stark auftrumpfende Slowakin Cibulkova - hat nach Meinung der Experten die Russin Victoria Asarenka. Aber für diese Prognose legt auch keiner seine Hand in das Feuer.
Unser Geheimtipp war die Serbin Ana Ivanovic. Hat sie langfristig das Potential, wieder an die Spitze der Damenweltrangliste zurückzukehren? Ihr Viertelfinalspiel gegen die 19-jährige Kanadierin Eugenie Bouchard, von der die Tennislegende Martina Navratilova sagt, dass sie mit Sicherheit in Zukunft Grand Slam-Titel einsammeln wird, begann am heutigen Tag mit aggressiven und entschlossenen Schlägen beider Kontrahentinnen. Bis 3:3 im ersten Satz findet ein ausgeglichenes Match auf hohem Niveau statt. Ivanovic vergibt zwei Breakbälle, gewinnt den dritten und geht erstmals in Führung. Bei 5:4 verschlägt die Serbin zwei Satzbälle mit leichten Fehlern und Bouchard gleicht aus. Ivanovic lässt nicht nach und gewinnt dann den Satz mit 7:5. Dieses Match auf Augenhöhe, bei dem die Spielerinnen das komplette Tennis-Schlagrepertoire präsentieren, setzt sich im zweiten Satz auf herausragendem Niveau fort. Bemerkenswert ist das präzise Volleyspiel dieser beiden Profis. Weil die Serbin in Führung zu oft leichte Fehler produziert, geht der Satz mit 5:7 verloren. Im entscheidenden Satz will Ivanovic den Sieg erzwingen, macht zu viele Fehler. Der Teenager aus Kanada agiert eiskalt und entschlossen. Sie gewinnt das Match mit 6:3 im dritten Satz. Die nächste große Überraschung in Melbourne ist perfekt. Hat sich die „Old Lady“ Navratilova geirrt? Gewinnt das Wunderkind Eugenie schon am Ende dieser Woche das erste Grand Slam-Turnier ihrer Karriere? Das ist nicht ausgeschlossen.
In den Vordergrund hat sich in den letzten Wochen und Monaten auch die Rumänin Simona Halep gespielt. Ihr Aufeinandertreffen mit Cibulkova im Viertelfinale wird wegweisend für beide Spielerinnen sein. Von beiden können wir noch eine weitere Steigerung im Verlauf der Saison erwarten.
Die Matches der Italienerin Flavia Penetta in Melbourne waren bisher vielversprechend. Um das angestrebte Semifinale wie bei den US Open 2013 zu erreichen, trat sie vor wenigen Stunden gegen die Chinesin Na Li an. Flavia kam in dieser Begegnung von Anfang an nicht in den Tritt, verschlug besonders viele Vorhände. Die Chinesin dominierte die Italienerin mit ihren schnellen und kontrollierten Grundschlägen wie nach Belieben bis zur 5:0-Führung und gewann den 1.Satz mit 6: 2. Penettas Siegeswille, den sie in den vorhergegangenen Matches demonstrierte, schien wie weggeblasen. Sie verlor sofort die ersten vier Spiele des 2.Satzes. Ein kurzes Aufflackern von Gegenwehr Penettas führte zum 1:4. Dann „streute“ sie weiter ihre Vorhand jenseits der Spiellinien und verlor auch den 2.Satz mit 2:6. Mit Na Li ist in Melbourne zu rechnen – obwohl an diesem Tag auch Barthel und Kerber gegen Penetta gewonnen hätten.
In der Herrenkonkurrenz kann man, trotz insgesamt extrem hoher Leistungsdichte – auch im Vergleich zum Damentennis – doch gewisse Hierarchien feststellen. Da thronen die Megastars Nadal, Djokovic und auch Murray über allen. Seit dem ersten Tag in Melbourne zählen wir unbedingt auch Roger Federer wieder zu diesem Kreis. Die verletzungsfreie Vorbereitung – vielleicht auch das Engagement Stefan Edbergs – hat dem Schweizer gut getan. Sein Achtelfinal-Triumph über Tsonga war Tennis „alter Klasse“. Dem armen Wilfried hat er nicht einen einzigen Breakball im Verlauf der drei Sätze gegönnt! Vor, in und nach den Matches wirkt Roger angenehm gelöst in Melbourne. Das wird ein „heißer Tanz“ gegen Andy Murray im Viertelfinale. Der Brite sollte sich trotzdem „warm anziehen“ – unser „gefühlter“ Favorit ist der Schweizer!
Übrigens – auch als Trost für das frühe Ausscheiden der deutschen Delegation in Melbourne: als überzeugte Europäer können wir stolz festhalten, dass die Viertelfinals bei den Australian Open in der Herrenkonkurrenz ausschließlich von Spielern unseres Kontinents bestritten werden.
Knapp hinter dieser absoluten Superliga der gegenwärtigen Profistars rangieren Berdych, Tsonga, Wawrinka – und Ferrer. Vielleicht unterschätzen wir den Spanier, der in Melbourne bisher bewiesen hat, dass er jederzeit auf dem spielerischen Niveau seiner aktuellen Weltranglistenposition (Nr.3!) agieren kann, aber für uns fehlt doch noch eine Nuance im Vergleich zu Djokovic und Co. In der Runde der letzten Acht trat Ferrer heute gegen den Tschechen Tomaz Berdych an. Der Osteuropäer startet wie eine Ballmaschine mit druckvollen Grundschlägen und dominiert die ersten beiden Sätze mit 6:1 und 6:4. Ferrer fightet sich unermüdlich gegen den fast fehlerlosen Berdych in das Match zurück und nutzt eine Phase, in der sein Konkurrent etwas nachließ, zum 6:2-Satzgewinn. Im vierten Satz wird der Spanier wieder von dem „D-Zug aus Tschechien“ überrollt: Berdych zieht mit 6:4 in das Halbfinale der Australian Open ein.
In diese Champions-Liga hinter der absoluten Weltspitze hat sich – nicht erst seit den Australian Open – auch der Bulgare Grigori Dimitrov gespielt. Im morgigen Viertelfinale gegen Rafael Nadal hängen die Trauben aber wohl noch zu hoch. Andererseits haben wir die Wunde von der Blutblase in der Schlaghand von Rafa gesehen…Damit kann kein normal Sterblicher – auch wenn er mit Verband spielt – eine normale Leistung vollbringen. Aber Nadal ist wohl sterblich, aber auf keinen Fall normal.
Der zweite Schweizer im Viertelfinale, Stanislas Wawrinka, hatte im zweiten Spiel des unteren Tableaus der Herrenkonkurrenz heute gegen Beckers Schützling Djokovic anzutreten. Der Serbe gab sich vom ersten Schlag an keine Blöße und brachte den Schweizer mit seiner präzisen, druckvollen und fast fehlerlosen Matchführung hoffnungslos in die Defensive. Der erste Satz wurde überlegen mit 6:2 gewonnen, im zweiten Durchgang fightete sich der Schweizer in die Partie, gewann 6:4 und glich nach Sätzen aus. Einiges deutet darauf hin, dass sich diese Auseinandersetzung mit ungewissen Ausgang noch über einen längeren Zeitraum erstrecken wird.
Zum krönenden Abschluss zeigt Nole Djokovic, dass er nicht nur brav auf jedes Wort seines Turniercoaches hört, sondern dass er sich auch sonst einiges von ihm abschaut: