Die deutschen Medien überschlugen sich, als verkündet wurde, dass Nole Djokovic Boris Becker als Coach für die Australian Open verpflichtet hatte. Der Platz in der hintersten Ecke des Melbourne Parks wird beim ersten gemeinsamen Training in Australien von internationalen TV-Teams, Fotografen und Journalisten gestürmt. Um das Training sicher zu stellen, sorgt zahlreiches Security-Personal dafür, dass nur, wer eine Akkreditierung vorweisen kann, Zugang findet.
Alles nur Hype, nur „Big Show“ bei den Auftritten der deutschen Tennislegende mit dem aktuellen serbischen Tennisstar?
Nein. Natürlich wird hier für die Öffentlichkeit inszeniert, aber sachliche Motive stehen im Vordergrund. Auch andere Konkurrenten haben erfahrene und erfolgreiche ehemalige Profis verpflichtet, um beim Grand- Slam- Turnier alle Ressourcen für den Sieg zu nutzen. Der eine oder andere Tipp eines „mit allen Wassern gewaschenen“ Coaches kann die entscheidende Nuance sein, die zum Triumph führt.
An diesem Ort wollen wir nicht detaillierter auf die Funktion der Trainerlegenden , wie Lendl, Edberg, Chang oder Hingis, im modernen Profitennis eingehen, sondern generell auf die Aufgaben eines Coaches auf der Profitour – auch um nebenbei ein anderes Licht auf die Bedeutung dieser „Comebecker“ für die Spitzenprofis im Tennis zu werfen. Vielleicht wird dadurch auch der sachliche Aspekt der Entscheidung Djokovics für die Integration Beckers in sein Team deutlicher.
Vor vielen Jahren hatte einer unserer Autoren im Auftrag des Sportwissenschaftlichen Instituts Hamburg eine qualitative Untersuchung unternommen, die der Frage nachging, welche Bedeutung der Coach für den Tennisspieler besitzt. Zwölf deutsche Spieler, die alle unter den Top 150 der damaligen Weltrangliste positioniert waren, gaben Auskunft. Das Ergebnis war überraschend: als entscheidendes Kriterium für die Auswahl des Coaches wurde von allen Befragten Vertrauen genannt! Nicht die sportlichen Erfolge, nicht die technisch-taktische Kenntnisse der Coaches,, sondern das Vertrauen in den Menschen, das Vertrauen in das souveräne sportliche, pädagogische und psychologische Wissen des Betreuers war entscheidend!
Berücksichtigt man die Situation des Tennisprofis, der Woche für Woche im Ausland, in unbekannten Sprachräumen und nicht vertrauten Kulturen seine Leistungen bringen muss, wird deutlich, dass der Coach so etwas wie „die Heimat in der Fremde ist“. Wenn sprachliche, soziale und sportliche Probleme auftreten, ist der Coach der Ansprechpartner und Betreuer, mit dem man gemeinsam Lösungen entwirft. Die psychologischen Fähigkeiten der Coaches sind von besonderer Bedeutung im Tennis-Zirkus!
Die Ergebnisse dieser lang zurück liegenden Studie werden von Bob Brett, dem Trainer der Wimbledonsieger Becker und Ivanisevic, bestätigt. Im Zusammenhang mit Beckers Auftritt in Melbourne betonte der Australier in einem aktuellen Interview die psychologischen Eigenschaften eines guten Trainers: „Für einen Coach ist es am wichtigsten, den Charakter seines Spielers zu kennen. Er muss seine Stärken und Schwächen kennen, nicht nur auf dem Court. (…) Man muss immer wieder überlegen, was das Richtige für den Spieler ist – sowohl technisch und taktisch, als auch im zwischenmenschlichen Bereich.“
Im Gegensatz zu Stimmen aus der deutschen Tennislandschaft, die bei dem Einsatz der Legenden als Coaches fordern, „dass diese erst einmal eine ordentliche Trainerausbildung absolvieren sollten“, sieht Brett in dieser Zusammenarbeit der sogenannten „Comebecker“ mit den absoluten Spitzenstars überwiegend positive Tendenzen: „Partnerschaften wie die zwischen Becker und Djokovic, Edberg und Feder, Lendl und Murray, Ivanisevic und Cilic oder Chang und Nishikori sind faszinierende Kombinationen von Persönlichkeiten und Spielstilen. (…) Djokovic hat die Möglichkeit, mit Boris an seiner Seite sein Spiel noch weiter zu entwickeln. Er wird von seiner Erfahrung (…) profitieren – vor allem in Sachen Effektivität und Strategie.“
Im modernen Tennis handeln Trainer, Betreuer (Coaches) und Berater (Counselor). Trainer, Coach oder Counselor sind unterschiedliche Begriffe mit unterschiedlichen Aufgabenfeldern! Vereinfachend kann man den Trainer als fachkundigen Sportlehrer, der für Technik und Taktik zuständig ist, bezeichnen. Der Coach wirkt als Betreuer, der auch über die Sportart hinaus als erfahrener und psychologisch geschulter Partner mit dem Spitzenspieler für optimale Voraussetzungen sorgt. Der Counselor fungiert eher als Berater, der strategische Funktionen bei bevorstehenden wegweisenden Entscheidungen übernimmt. Der Unterschied zwischen Coach und Counselor ist nur haarscharf: während der Coach seinen Sportler genau kennen muss, kann der Counselor auch von außen – mit der nötigen Distanz – dabei helfen, sinnvolle und nachhaltige Entschlüsse zu tätigen. Häufig übernehmen die Manager der Tennispros – in enger Absprache mit den Coaches – den Job des Counselors.
Auf der internationalen Profitour wird kaum der Begriff Trainer genannt, wenn die Spieler/innen über ihr sportliches Personal reden. Man spricht von seinem Coach und weist damit darauf hin, dass diese Person noch andere Qualitäten und Funktionen als die eines „normalen“ Trainers besitzen muss.
Der ideale Trainer auf der WTA- und ATP-Tour verfügt sowohl über herausragende Trainer-, wie Betreuer-, als auch über Berater-Fähigkeiten. Diese Begabungen sind in einer Person sehr selten in gleich hohem Maß anzutreffen (Tennisinsider behaupten, dass Bob Brett zu dieser einzigartigen Spezies gehört!). Deshalb zieht der Tennisprofi, um optimale Voraussetzungen zu schaffen, immer häufiger einen Experten auf einem dieser Fachgebiete hinzu.
Im modernen Team, das den Spitzenprofi zu Höchstleistung führen soll, haben die einzelnen Personen also bestimmte Funktionen. Je mehr Budget zur Verfügung steht, desto mehr unterschiedliche Fachleute können verpflichtet werden, um das Unternehmen zum Erfolg zu führen. Die Comebecker sind teils eher Berater, teils Betreuer und manchmal beides in einer Person. Manchmal werden sie auch nur verpflichtet, weil, aufgrund ihrer vergangenen Erfolge, die Spieler ihnen vertrauen, dass sie den richtigen Weg zum Turniersieg weisen. Dieses Quäntchen mehr (Selbst-)Vertrauen kann entscheidend sein für den erfolgreichen Weg zum Ziel.
Vielen deutschen Tennistrainern – auch mit bester offizieller Ausbildung – fehlen die Erfahrungen und die Kenntnisse der besonderen Situation im System des internationalen Spitzentennis. Vielen fehlen auch die psychologischen Kenntnisse, weil dieser Aspekt in der deutschen Trainerausbildung noch immer nicht ausreichend repräsentiert ist.
Wenn sie nicht ein eigenes Talent vom Verein bis in die Weltklasse geführt haben, fehlt ihnen auch das Wissen über die jeweilige Sportlerpersönlichkeit. Folgen wir Bob Bretts Aussagen, verhindert allein dieser Mangel ein erfolgversprechendes Wirken auf der Tour.
Zum Schluss ein Ausblick: In der deutschen Trainerausbildung für das Spitzentennis sollten in den Lehrgängen die ehemaligen Weltklasseprofis hinzugewonnen werden: In Referaten und Diskussionen könnten sie Einblicke in das komplexe System des internationalen Proficircuits in authentischer Weise geben und damit dem Trainernachwuchs fundierte Orientierungen bieten.
Um einen Eindruck zu bekommen, wie die Arbeit auf dem Trainingsplatz bei den Profis ausehen kann, haben wir ein Video von Djokovic und Becker für euch angefügt: