Die “schöne” einhändige Rückhand vom Aussterben bedroht?

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Tennis war in seinen besten Zeiten in der deutschen Gesellschaft eine besondere Lebensform. Vertraut man einigen wenigen  zeitgenössischen  Journalisten, ist es das auch heute noch so. Das bekannte Wochenmagazin „Spiegel“ hat in diesen Tagen einen Artikel veröffentlicht, der eine angeblich besondere ästhetische Note des Tennis, die einhändige Rückhand, wehmütig zu Grabe trägt. Ein weiterer Kratzer am Image des Tennis als außergewöhnlicher Lebensstil.

Einerseits sollte man als „Tennisliebhaber“ schon froh sein, das sich ein großes Printmedium heutzutage überhaupt mit dem weißen Sport in einem Text auseinandersetzt. Andererseits ist der Artikel leider dadurch gekennzeichnet, dass der Autor nicht besonders sorgfältig über das Thema recherchiert oder ausreichend Fachleute zu Rate gezogen hat.

federer

Da wird im ersten Satz behauptet, dass „die einhändige Rückhand der schönste Schlag im Tennis“ ist. Wenn wir an die einhändige Rückhand denken, die unsere sonst liebenswerte Partnerin beim „Kuddel-Muddel-Turnier“ in die Netzwurzel zelebrierte, kommen zumindest subjektive Zweifel über die allgemeine Gültigkeit dieses Urteils auf.

Na schön – und wenn…

Von größerer Bedeutung ist die nächste Behauptung im Text, dass die einhändige Rückhand aussterben wird. Bewiesen wird das mit der Statistik, dass „bei den Männern von den besten 50 Profis nur noch 15 eine einhändige Rückhand spielen.“ Obwohl wir den Rechenschieber nicht erfunden haben, können wir erkennen, dass diese 15 Spieler fast ein Drittel der Gesamtmenge ausmachen. Mit dem mathematisch- logischen Verständnis des Spiegelautors müsste man dann davon ausgehen, dass zukünftig alle Linkshänder von der Bildfläche im Tennis verschwinden, weil sie weit weniger als ein Drittel aller Spieler ausmachen.

Die weitere Argumentation des Spiegel-Journalisten stößt auch auf Widerstände: „Eine einhändige Rückhand ist auch variabler einsetzbar – als Drive, Slice oder Stopp.“ unbedingt an Ein Drive ist wunderbar mit der beidhändigen Rückhand zu spielen, auch ein Slice oder Stopp scheitert nicht an der unterstützenden Hand. Das beweisen tagtäglich Tennissportler von der Kreis- bis zur Regionalliga. Das beweist auch unser Spitzenspieler Florian Mayer in allen seinen Turniermatches.

Es wird im Spiegeltext dann argumentiert, dass der einhändige Schlag  technisch anspruchsvoller ist:  „Er verlangt eine synchrone Bewegung von Hüfte, Rumpf, Beinen, Ober- und Unterarm sowie der Hand.“  In der Realität der Tennistechnik werden genau diese Synchronisierungen auch bei den beidhändigen Rückhandschlägen verlangt. Die beidhändige Technik wird sogar noch anspruchsvoller, weil der  unterstützende Arm noch zusätzlich mit dem Schlagarm koordiniert werden muss. Um erfolgsorientiert zu handeln, werden  beim beidhändigen Schlag  zusätzliche Netzwerke im Gehirn entwickelt!

Es geht weiter: „Weil man jedoch für die einhändige Rückhand eine kräftige Schulter braucht, lernen Kinder inzwischen fast ausnahmslos, den Schläger mit beiden Händen zu halten.“  Dieser Aussage kann man grundsätzlich zustimmen. Für unsere Kleinsten ist es leichter, das schwere Spielgerät mit beiden Händen zu bewegen. Das ist auch gesundheitlich von Vorteil, um den kindlichen Körper nicht zu überlasten. Das gilt für die Schulter, das gilt umso mehr für die Arme und Handgelenke!

Wenn die Kleinsten ihre Muskulatur stärker ausgeprägt haben, spricht nichts dagegen, dass sie versuchen, einhändig zu spielen. Dass Kraft gerade bei der Rückhand eine besondere Rolle spielt, liegt an der Griffhaltung und an der Schulterstellung: Bei der erfolgsorientierten Vorhand liegt die Hand mehr hinter dem Griff und kann dadurch besser dem Druck des Balles standhalten. Da die Schulter des Schlagarmes bei der Ausführung der Vorhand hinter der anderen Schulter liegt, kann der Spieler stärker die Rumpfmuskulatur einsetzen und hat längere Beschleunigungswege als bei der Rückhand! Bei der einhändigen Rückhand ist die Schulter des Schlagarmes vorn. Die Differenz der Beschleunigungsstrecke ist bei der Vorhand also um eine Schulterbreite (etwa einen halben Meter)  länger. Das ist der Grund, warum zum Beispiel beim Boxen fast ausschließlich mit der Vorhand, bei den sogenannten „Schwingern“, der K.O.-Schlag ausgeführt wird.

wawrinka rück

Zum Ende des kurzen Textes zitiert der Spiegel-Journalist einen Fachmann, den ehemaligen Trainer von Justin Henin: „Rodriguez sagt, Trainer und Eltern besäßen nicht mehr die Geduld, auf kurzfristige Erfolge zu verzichten, damit Kinder eine einhändige Rückhand lernen.“

Dieser Kritik stimmen wir zu: Allzu häufig wird im heutigen Tennis bei Eltern und Trainern zu sehr Wert auf kurzfristige Erfolge gelegt. Diese Beobachtung spielt aber bei dem Problem der Entscheidung zwischen einhändiger oder beidhändiger Rückhand keine entscheidende Rolle. Beide Techniken haben ihre Vorteile: bei der einhändigen Rückhand kann der Spieler den Ball früher treffen, auch die seitliche  Reichweite ist größer – deshalb wird der Volley auch auf der Rückhandseite fast ausschließlich einhändig gespielt.

Die beidhändige Rückhand schont Körper und Muskulatur bei den jüngsten Tennisanfängern. Sie fördert die „Beidseitigkeit“, die Balance in den Koordinationen und vermeidet dadurch einseitig ausgebildete Körper, die vor langen Zeiten einmal typisch für die Tennisspieler gewesen sind.

Die einhändige Rückhand verlangt weniger Koordination und Gegensteuerung bei dem „Longline – Schlag“. Deshalb gehört dieser „Killerschlag“, mit dem Wawrinka geradeaus sehr häufig punktet, zu den besonders bewunderten Erfolgsschlägen auf der Tour.

Die beidhändige Rückhand erlaubt mehr Winkelschläge, man kann auch hinter dem Körper durch Einsatz der unterstützenden Hand noch Bälle in das Feld zurückschlagen.

Einhändige und beidhändige Rückhandschläge haben Vorteile und Nachteile. Es ist abhängig von individuellen Voraussetzungen, welche Schlagvariante vom Spieler auf Dauer gewählt wird.

Es ist nicht richtig, was im Spiegel in den letzten Sätzen prophezeit wird: „Der (einhändige) Schlag wird komplett verschwinden (…) In fünf oder zehn Jahren gibt es ihn nicht mehr.“

Sie wird nicht aussterben – da können wir uns sicher sein. Auch weil die  methodischen Entwicklungen im Tennis, z.B. abgestufte Schlägerlängen, immer leichtere Anfängerrackets und leichtere Bälle, das frühe Spielen der einhändigen Rückhand unter dem Aspekt der gesundheitlichen Verantwortung fördern!

Unsere Trainer sollten diese Fortschritte der Tennistechnologie und –methodik in Zukunft nur besser nutzen.

Als krönenden Abschluss präsentieren wir ein Video mit ästhetischen Rückhandschlägen – ein- und beidhändig geschlagen!

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