Anlässlich der Finalabsage Roger Federers bei den Barclay ATP World Tour Finals wegen einer Rückenverletzung, breitete sich im Internet sofort Paranoia, die Modeerscheinung unserer Zeiten, aus: Der Schweizer hätte nur eine Verletzung simuliert. Mit derartigen Gesundheits-problemen hätte er den dritten Satz seines Semifinals gegen Wawrinka überhaupt nicht beenden können.
Aus dieser Behauptung spricht eine gewaltige Unkenntnis der Sachverhalte im Spitzensport. Unter dem Einfluss von Adrenalin nehmen Weltklassespieler in einem spannenden Duell sich anbahnende Verletzungen oder Überbelastungen kaum wahr. Wenn das Spiel beendet ist, wenn die Muskulatur Wärme verloren hat und Adrenalin abgebaut ist, werden die Schmerzen erst bewusst.
Darüber hinaus wird oft vergessen, welche übermenschlichen Anstrengungen ein derartiges Turnier, mit fünf Spielen auf höchstem Niveau in sieben Tagen, den Spielern abverlangt. Da sind gesundheitliche Schädigungen nicht ungewöhnlich.
Auch eine weitere Erklärung der Absage, dass der Schweizer das Davis-Cup-Finale am kommenden Wochenende nur spielen kann, wenn er seinen strapazierten Körper schont, gerät in die Perspektive der Verschwörungstheorie: Es wird spekuliert, dass der „Egoist“ Federer auch nicht in Lille antreten wird. Diese Art der Argumentation nennt man in der Psychologie „double-bind: Einerseits wirft man ihm vor, dass er eine Verletzung vorgetäuscht hat, weil er sich Djokovic nicht gewachsen fühlte. Andererseits spekuliert man, dass diese Verletzung der Grund einer Absage für das Davis Cup-Finale sein wird. Tritt der Schweizer in Frankreich an, wird wieder behauptet, dass er in London nicht verletzt gewesen sei.
Armer Roger, diesen Klugscheißern wirst du es nie recht machen können.
Wenn Federer verletzt ist, und die Verletzung nicht mehr rechtzeitig auskurieren kann, dann ist es legitim, auch das Davis Cup-Match abzusagen. Um seinen Auftritt gegen Frankreich überhaupt möglich zu machen, hat er vorausblickend in London zurückgezogen.
Es wird ihm auch vorgeworfen, dass er unverantwortlich gegenüber den Zuschauern, den Veranstaltern und den Medien gehandelt hat. Wenn Federer am Rücken verletzt ist, kann er nicht auf dem Niveau spielen, dass ein ausgeglichenes Match gegen Djokovic zulässt. Er kann keine Leistungen präsentieren, die das Publikum in der Arena oder vor den Bildschirmen von ihm erwartet. Die er auch von sich selbst erwartet. Wenn er sich verletzt auf den Platz stellt, wird das Traumfinale zu einer Farce, weil zwei Kontrahenten mit völlig unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen gegeneinander spielen.
Hätte ein derartiges Match den Zuschauern Freude bereitet?
Nur denjenigen, die Federer jetzt im Internet paranoid verdächtigt haben. Diese Motivation, diese Freude an der Niederlage eines Geschwächten, verrät allerdings ein so abgrundtiefes Niveau, dass man sich damit besser nicht näher beschäftigen sollte.
Wie heißt es so traurig-schön im Französischen: Honi soit, qui mal y pense. Frei übersetzt: Beschämt sei, wer Schlechtes von anderen denkt.
P.S.
Die ganze Affäre ist ein Trauerspiel. Schauen wir uns lieber das Video unter dem vorangegangenen Artikel an. Da haben wir mehr Spaß.