Novak Djokovic war der überragende Spieler der ATP-Saison 2015.
Wir sind der Frage nachgegangen, welche Gründe zu dieser Dominanz geführt haben und haben elf Antworten gefunden:
1. Resilienz
Der Djoker hat auf die Frage, was den Erfolg seines Spieles kennzeichnet, geantwortet, dass es seine Resilienz sei. Resilienz ist die Eigenschaft, trotz widriger Umstände sich aus der Notlage zu befreien, unbeirrte Widerstandskraft zu zeigen. Die Spieler auf der Tour wissen, dass man gegen den Serben das Match erst gewonnen hat, wenn man den letzten Punkt erfolgreich beendet hat. Das erhöht den Druck auf seine Konkurrenten. Jedes kurze Nachlassen wird sofort von Djokovic bestraft.
2. Selbstvertrauen
Die Kontrahenten des Weltranglistenersten nennen immer wieder sein starkes Selbstvertrauen als Grund für seine Stärke. Selbstvertrauen kann man weniger trainieren als Schlagtechniken oder Fitness – es wird erst im Wettkampf „gestählt“. Siege stärken das Selbstvertrauen. Die Erfolgsbilanz Noles im Jahr 2015: 82 Siege stehen nur 6 Niederlagen gegenüber. Kein Wunder, dass die Konkurrenz sein Selbstvertrauen bewundert.
Zwischen Selbstvertrauen und Resilienz besteht ein ursächlicher Zusammenhang: Ohne Selbstvertrauen ist Resilienz unmöglich – ohne Resilienz ist es schwer, Selbstvertrauen aufzubauen.
3. Fitness
Der Weltranglistenerste ist sehr schnell, außerordentlich gewandt und hat die Ausdauer eines Marathonläufers. Für andere unerreichbare Bälle spielt er noch als Gewinnschläge zurück. Bei Bällen, bei denen andere Spieler sich die Knochen brechen würden, schlägt er den Ball mit seinen „Gummiknochen“ noch so zurück, dass der Gegenspieler Probleme bekommt. Auch bei Rückständen im 5.Satz nach dreistündiger Spielzeit kann Djokovic neue Energien mobilisieren und das Match noch drehen. Nadal und Federer haben dieses Phänomen am eigenen Leibe bitter erfahren dürfen.
4. Die Sicherheit in allen Schlägen
Der Belgrader ist der absolute Allround-Spieler. Er schlägt druckvolle und platzierte Vor- und Rückhandschläge, er beherrscht Winkelschläge wie kaum ein anderer und er setzt gefühlvolle Stopps situationsgerecht ein. Sein Überkopfspiel und sein Volley sind fehlerlos.
Er hat die ideale Mischung von Sicherheit und Aggressivität in der Saison 2015 gefunden.
Einzige Schwäche: Wenn er sich (zu) überlegen fühlt, sich seiner Sache zu sicher ist, unterlaufen ihm unnötige Patzer.
5. Der Aufschlag
Nole schlägt nicht so hart auf, wie John Isner, Ivo Karlovic oder Federer. Aber er platziert die Bälle extrem genau. Sein Aufschlag ist unberechenbar, weil er Tempo und Platzierung permanent ändert. Sein Service ist kaum zu lesen.
Diese Variabilität des Aufschlags ist sicherlich eine Frucht der Zusammenarbeit mit Coach Boris Becker. Der hatte seine Erfolge auch zu einem großen Teil dieser Vielseitigkeit und diesem taktisch klugen Rhythmuswechsel beim Aufschlag zu verdanken.
6. Big Points
Djokovic ist in der Lage, sich bei großen Herausforderungen zu steigern. Nach dem Motto: When the Going gets tough, the Tough gets going.
Im Spitzentennis ist diese psychische Einstellung die Voraussetzung für den Erfolg.
Die Aussage Roger Federers macht diesen Unterschied deutlich: „Es ist sicher ein Vorteil, dass er so entspannt ist in den wichtigen Momenten. Da verschlägt er kaum je, trifft er die Linie, während ich sie um zwei Zentimeter verpasse.“
7. Der große Respekt vor seinen Leistungsmöglichkeiten
Die überragenden Erfolge von Djokovic haben bei seinen Konkurrenten für großen Respekt gesorgt. „He`s in their heads.“ Er bringt seine Gegner zum Nachdenken. Damit verzögern sich automatische Abläufe. Unnötige Fehler werden provoziert. Als Beispiel kann wieder sein größter Widersacher Roger Federer angeführt werden: Der Schweizer Champion hatte gegen Djokovic auffällig eine andere Körpersprache als in den Matches gegen die übrige Konkurrenz. Ein Zeichen war in den letzten Duellen oft das erste Aufschlagspiel des Schweizers, das er zuletzt verlor oder nur mit großen Mühen gewinnen konnte. Auch wenn er vorher über mehrere Runden hinweg kein einziges Servicegame verloren hatte.
Auch im weiteren Verlauf der Matches zeigte Roger eigentlich nie die Selbstsicherheit, die ihn gegen alle anderen Topprofis so auszeichnete. Er wirkte angespannter und nachdenklicher. Es gelang ihm selten, gegen den Djoker an die Form in den Runden zuvor anzuknüpfen.
8. Konstanz
Auch Tennisstars sind nur Menschen. Jeder Tennisspieler hat gute und schlechte Tage, sogenannte Ups and Downs. Das gilt auch für Djokovic. Aber: Sein Grundniveau ist extrem hoch. Sein Coach Boris Becker hat diese außergewöhnliche Konstanz vor kurzer Zeit hervorgehoben: „Djokovic hat in diesem Jahr kein wirklich schlechtes Match abgeliefert“.
9. Frustrationstoleranz
Einen leichten Volley verlegt, einen todsicheren Smash noch in die Netzwurzel gedrückt – das alles ist auch dem „Unschlagbaren aus Serbien“ unterlaufen. Er äußert aber spontan kaum Wut oder Ärger, sondern meist folgt ein ironisches Lächeln, das deutlich ausdrückt, dass dieser Fehlschlag unter seiner Würde ist. Dann schüttelt er, immer noch grinsend, den Kopf. Damit hat er auch die negativen Gedanken aus seinen Kopf vertrieben, gibt ihnen keinen Raum. Die „Sache“ ist abgehakt und er ist beim nächsten Punkt wieder fokussiert.
10. Return
Die Explosivität, die Gewandtheit, die schnellen Reaktionsfähigkeiten sowie die hohe Qualität in der Wahrnehmung und in der Antizipation haben dafür gesorgt, dass der Serbe – mit Andy Murray (?) – der beste Returnspieler der ATP-Tour ist. Wer so gut retourniert, setzt seine Gegner beim Aufschlag unter besonderen Druck.
11. Willenskraft
Dem Weltranglistenersten ist es in der Saison 2015 gelungen, Tag für Tag, Woche für Woche Topleistungen zu präsentieren. Das erfordert ausgeprägte Willenskraft. Novak hat diesbezüglich neue Maßstäbe im Jahr 2015 gesetzt.
Es wird interessant zu beobachten sein, wie lange er diese mentale Konstanz bewahrt. Wenn er nur etwas weniger Willensstärke in Zukunft mobilisieren kann, wird er seine Dominanz verlieren.
Auch deshalb wird die Saison 2016 wieder spannend verlaufen.