Wir hatten von dem Skandal im Vorfeld des Davis Cup-Relegationsmatches gegen Polen berichtet. In der Zwischenzeit hat sich einiges zugetragen, das die Affäre und die handelnden Personen in neuem Licht erscheinen lässt.
Der Deutsche Tennis Bund hatte mit einer drastischen Reaktion auf die Absageflut reagiert. Das Trio Dustin Brown, Tobias Kamke und Mischa Zverev wird im kommenden Jahr nicht mehr für den Team-Wettbewerb berücksichtigt werden. Das kündigte DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff in der “Süddeutschen Zeitung” an.
Für Dustin Brown fand der Vizepräsident besonders kritische Worte: „Das ist Rosinenpickerei, wenn man bei strahlenderen Erstrundenpartien dabei ist und sich dann dem Abstiegskampf verweigert”, sagte Hordorff und betonte: „Wir wollen Spieler, die sich ganz mit dem DTB-Team identifizieren.” Auch Kamke und Mischa Zverev sollen für das Relegationsspiel angefragt worden sein und abgesagt haben.
Für die Absage von Ausnahmetalent Alexander Zverev hatte DTB-Sportdirektor Klaus Eberhard jedoch Verständnis gezeigt: „Ich gehe davon aus, dass Alexander Zverev in Zukunft noch viele Matches für Deutschland im Davis Cup spielen wird.” Er wisse, „dass die Nationalmannschaft für Sascha sehr wichtig ist. Für diese Partie hat es aus verschiedenen Gründen für ihn nicht gepasst. Das müssen wir jetzt akzeptieren”. Das nennt man Diplomatie.
Der DTB demonstriert Macht und zeigt Schwäche in seiner Abhängigkeit von Spitzenspielern und den damit verbundenen zukünftigen Erfolgen. Da sucht man sich dann Sündenböcke, die für die eigene Funktionärskarriere von geringerer Bedeutung sind.
Browns erste Reaktion auf die „DTB-Machtdemonstration“: „Wenn ich früher auf den DTB gewartet hätte, gäbe es heute den Tennisspieler Dustin Brown nicht.“ Via Twitter wurde er noch deutlicher: „Wenn ich nicht 100% fit bin und beim Challenger verliere, ist das mein persönliches Risiko. Wenn ich aber beim Davis Cup antrete und nicht 100% fit bin, könnte Deutschland verlieren, und genau das wollte ich vermeiden und habe meine Absage auch so begründet. Warum es seitens des DTB nicht so dargestellt wird, ist für mich unverständlich. Auch ist es mehr als merkwürdig, dass Spieler, denen der Belag und das Datum erst nicht passt, plötzlich überspielt sind. Das nennt man dann wohl eine gelungene Darstellung der DTB-Politik.“
Ohne Ironie könnte man von einer gewohnt peinlichen Öffentlichkeitsarbeit des DTB sprechen.
Andererseits wird diese Aussage Browns wohl verhindern, dass er in Zukunft gemeinsam mit Sascha Zverev im Doppel antreten wird.…
Auch die Entscheidung des DTBs, Sascha zu verschonen, aber Mischa Zverev zu bestrafen, wird von einigen Insidern als unbedachte Maßnahme eingeschätzt. Die Zverev-Familie mit dem Vater und Coach Alexander senior tritt als ein geschlossener Kreis auf. Diese Tennisfamilie hält stark zusammen. Warten wir ab, was kommt, wenn die Kaderplanung für das nächste Davis Cup Match bevorsteht…
Sicherlich kann man den Spielern, die abgesagt hatten, mangelnde Verantwortung für das deutsche Tennis vorwerfen. Fehlende Dankbarkeit allerdings nicht: Brown und die Zverevs haben nicht das Verständnis, dass ihnen der DTB in ihren Karrieren entscheidend geholfen hat.
Wer den Spielern mangelnden Patriotismus unterstellt, sollte nicht vergessen, dass Brown nie seine jamaikanischen Ursprünge verleugnet hat und dass die Zverevs mit der ursprünglichen Heimat Russland immer noch eng verbunden sind.
Resümee: Je tiefer man in das Dickicht des Davis Cup-Absageskandals eindringt, desto mehr verschwimmen die Wahrheiten.